TAZ-BERLIN Nr. 2603 Seite 16 vom 06.09.1988 taz



220 Kreuzberger Kinder bald ohne Betreuung ?

Leere Klassen und Baumängel: Zwölf Kitas und Schülerläden desVerbandes Kreuzberger Kinder- und Jugendprojekte e.V. in SO 36 droht die baldige Schließung / Unvorstellbare Armut in Kreuzberg /Finanzsituation soll jetzt im Abgeordnetenhaus beraten werden Die baldige Schließung droht den zwölf Kitas undSchülerläden des VerbandsKreuzberger Kinder- und Jugendprojekte e.V. in SO 36. Wegen der unzumutbarenfinanziellen Bedingungen und dem schlechten baulichen Zustand vieler Lädensehen sich die MitarbeiterInnen außerstande, die Arbeit über 1988 hinaus fortzusetzen.

Der Verband bekommt nur 56 Prozent der benötigten Mittel, da die Läden nach dem Modell der Eltern-Initiativ-Kitas finanziert werden. Aber weder die Eltern der meist aus sozial schwachen Familien stammenden Kindern noch der Verband selbst sind imstande, die bei EI-Kitas üblich Eigenbeteiligung von Schmalz-Jacobsen 44 Prozent zu zahlen. Die Hoffnung, daß die Jugendsenatorin die 44 Prozent ab August zuschieße, habe sich zerschlagen, erklärte der Verband gestern. 220 deutsche und ausländische Kinder zwischen zwei und zwölf Jahren werden von ebenfalls zweisprachigen ErzieherInnen betreut. Diese 220 Plätze sind viel für Kreuzberg bei einer Warteliste von 2.700 Kindern, erklärte Kreuzbergs Jugendstadtrat König (SPD), der den Verband unterstützt. Die Kinder aus armen und oft kinderreichen Familien können hier in Ruhe Hausaufgaben machen, lernen kochen und einkaufen, sie organisieren ihr Zusammenleben selbst. Fiele diese Betreuung weg, dann könnten die Kinder die Hausaufgaben, wenn überhaupt, nur zu Hause am Küchentisch machen, ist vom Rektor der nahegelegenen Kurt -Held-Grundschule zu erfahren. Nicht zuletzt aus diesem Grund bekämen auch nur rund 50 Prozent seiner Schüler eine Empfehlung für das Gymnasium. In Kreuzberg gibt es unvorstellbare Armut, erklärte Rektor Haase. Kinder laufen im Winter mit Sandalen herum und kommen hungrig in die Schule.

Gerne würden die Läden des Verbandes deshalb ein Frühstück anbieten, aber das ist finanziell nicht drin mit 22,90 Mark pro Tag und Kind, aus denen Miete und Erziehergehälter wie Sachkosten bezahlt werden müssen. Den finanziellen Bedarf sieht auch die Senatsjugendverwaltung. In Gesprächen wurde dem Verband zugesagt, sich darum zu bemühen, daß die Defizite aus der sogenannten Fehlbedarfsfinanzierung gedeckt würden. Dies scheiterte am Finanzsenator. Da gibt es nichts zu beschönigen, wir haben das Geld nicht bekommen, erklärte der Sprecher der Jugendverwaltung, Legner. Die Senatorin werde versuchen, die Finanzierung im Abgeordnetenhaus durchzusetzen. Allerdings könne man eine halbe Million für die bauliche Sanierung der Läden noch dieses Jahr zur Verfügung stellen. Daß Frau Schmalz-Jacobsen sich generell dem Finanzsenator gegenüber nicht durchsetzen könne, erklärte Hans-Jürgen Kuhn für die AL. So sei jugendverwaltungsintern ein Fehlbedarf auch für die Eltern -Initiativ-Kitas von 7,2 Millionen pro Jahr errechnet worden, das Geld werde aber in absehbarer Zeit nicht zur Verfügung gestellt esch

die tageszeitung